Rund zehn Millionen Kartei-Karten – „Häftlings-Personal-Karten“ – haben die Nazis im Zuge der Ermordung der europäischen Juden, von Sinti und Roma und vielen weiteren Gruppen Verfolgter und Getöteter angelegt. Sie lagern in den Arolsen Archives im hessischen Städtchen Bad Arolsen, dem größten internationalen Archiv für Opfer und Überlebende des Holocausts. Die Aufgabe des Archivs ist es, Vermisste zu suchen und Schicksale zu klären. Rund 20.000 Anfragen im Jahr bearbeitet die Nachfolgeorganisation des internationalen Suchzentrums. Noch immer sind Schicksale und Fragen zu den Schicksalen vieler Menschen in der Zeit des organisierten Massenmords nicht geklärt.
Das Zentrum will die Erinnerung an die Opfer wachhalten. Deshalb hat das Archiv die Crowdsourcing-Kampagne #everynamecounts (#JederNameZaehlt) gestartet. Dies sei ein Weg, die Dokumente sprechen zu lassen, sagt die Leiterin des Archivs, Floriane Azoulay. Seit Beginn 2020 haben sich weltweit 10.000 Freiwillige auf der Plattform des Archivs angemeldet und 2,5 Millionen Dokumente bearbeitet. Sie helfen, Archivkarten zu digitalisieren und über die Online Plattform auffindbar zu machen. Karte für Karte, Schicksal für Schicksal. Es gebe immer weniger Zeitzeugen, deswegen müssten die Dokumente sprechen, so Archiv-Leiterin Azouley. Die Identifikation mit den Opfern ist für die Direktorin der Arolsen Archives der größte Gewinn des Projekts. Eine Woche lang werden nun Namen und Dokumente auf die Außenwand der französischen Botschaft in Berlin projiziert. Die Kunstinstallation wird im Livestream in die ganze Welt übertragen.
Klaus von Dohnanyi, früherer Hamburger Bürgermeister und Sohn des für seien Beteiligung am 20 Juli von den Nazis hingerichteten Hans von Dohnanyi, hat in seiner Rede zum Holocaust Gedenktag im Deutschen Bundestag 1997 gesagt, „Gedenken, erinnern, verstehen, lernen – das sind die Forderungen, die wir an uns selbst richten. Nur wenn wir auch verstehen, können wir dazu beitragen,
dass in der kommenden Zeit die Menschenrechte überall errichtet, demokratisch
und rechtsstaatlich gesichert und notfalls auch verteidigt werden können.“
Darin liegt der Wert, sich der individuellen Schicksale zu erinnern. Mit Hilfe dessen, was in Arolsen geschieht, was uns die Stolpersteine unweit der eigenen Haustür bewusst machen. Nicht zuletzt der Sturm auf das Kapitol, die schwindenden demokratischen Bindekräfte in Teilen der EU, Ausgrenzung von Flüchtlingen, Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus, Verschwörungstheorien: all das sind Symptome, die uns zeigen, das wir täglich für Demokratie, Frieden und Menschenrechte einstehen müssen.