Die aktuellen Bilder aus Kabul sind ein beschämender Beweis für das Scheitern der westlichen Strategie in Afghanistan. Der Koalition ist es nicht gelungen, tragfähige demokratische Strukturen zu etablieren, die örtlichen Sicherheitskräfte zu einem Ordnungsfaktor zu machen, die Korruption zu bannen und die Strukturen der demokratiefeindlichen Kräfte entscheidend zu schwächen. Unter dem Strich steht das totale Versagen der westlichen Allianz in Afghanistan. Russland und China werden daraus ihre Schlüsse ziehen. Afghanistan wird wie weitere Länder auf unabsehbare Zeit ein failed State sein.
Die Rückkehr der Taliban kommt schneller als erwartet, musste aber in der jüngsten Vergangenheit immer wieder befürchtet werden. Die Zahl der Opfer, die die Ausbreitung der rückwärtsgewandten Islamisten über das ganze Land bisher gefordert hat, ist im Moment noch unklar. Klar ist aber, dass Missliebige, Intellektuelle, Künstler, Funktionäre von Staat und Verwaltung oder Unterstützer der westlichen Koalition in unmittelbarer Todesgefahr sind.
Insofern finde ich es erschütternd, dass die internationale Koalition und die deutschen Institutionen so wenig auf diese Situation vorbereitet waren. Ich glaube, dass eine großzügige Aufnahmeregelung für die afghanischen Ortskräfte und ihre Familien moralisch geboten und humanitär notwendig ist. Wir dürfen angesichts der Bedrohung für diese Menschen nicht in kleinliche Debatten geraten und nach unserem außen- und verteidigungspolitischen Scheitern nicht auch noch für eine humanitäre Katastrophe verantwortlich werden.