Kaum ein Tag vereint so viele erinnerungswürdige Ereignisse in der deutschen Geschichte wie der neunte November. Dabei reihen sich Geschehnisse aneinander, die einerseits Demokratie und Freiheit Geltung verschafft haben, andererseits aber an Taten ihrer erbittertsten Feinde erinnern. Wir erinnern uns an die Ausrufung der Republik 1918 durch den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann und den Fall der Mauer 1989.
Vor allem aber markiert der 9. November 1938 einen wesentlichen Schritt der Radikalisierung in der Verfolgung der Juden in Deutschland durch die Nationalsozialisten. Die Reichspogromnacht machte Jüdinnen und Juden zu Freiwild, lieferte sie den Mobs aus SA und SS aus. Kein einziger Mord oder Totschlag ist je gesühnt worden. Die Nazis schufen sich selbst einen verbrecherischen Anlass, zehntausende jüdische Menschen in Konzentrationslager zu deportieren. Und sie verhöhnten die Opfer auch dadurch, dass sie jüdische Vermögen zur Begleichung von Schäden aus der Reichspogromnacht heranzogen. In ganz Deutschland zerstörten die Nazis 1.400 Synagogen, rund einhundert Menschen wurden durch unmittelbare Gewalteinwirkung getötet, rund 300 haben sich das Leben genommen. Schätzungen zufolge sind mittelbar mehr als 1300 bis 1500 Menschen dem Terror dieser Nacht zum Opfer gefallen sind. Dieses widerliche antisemitische Verbrechen gehört zu unserer Erinnerung als Wegmarke in den Holocaust.
Unsere Fraktionsvorsitzende Johanne Modder weist zu Recht mit Sorge auf die zunehmende Radikalisierung antidemokratischer Gruppen hin: „Rechtsextreme nutzen die Corona-Pandemie, um unseren Staat verächtlich zu machen und krude Verschwörungstheorien zu verbreiten. Die Propaganda auf Demonstrationen und im Internet wird dabei immer radikaler und hasserfüllter. Wenn von globalen Eliten schwadroniert wird, die alles steuerten, ist das antisemitische Hetze in Reinform. Wenn selbsternannte Impfgegner mit gelbem ‚Ungeimpft-Stern‘ auf der Jacke herumlaufen, weil sie für den Restaurantbesuch einen negativen Coronatest brauchen, ist das eine ungeheuerliche Verharmlosung des Holocaust. Diese widerlichen Auswüchse nehmen wir nicht hin.“
Niedersachsen hat sich gerade wieder auf dem Festakt zum 75. Jahrestag der Landesgründung zu den Werten von Freiheit, Demokratie und der Unverbrüchlichkeit der Menschenrechte bekannt. Niedersachsen zeichnet sich durch eine tolerante und offene Gesellschaft aus, in der andere Kulturen, andere Glaubensbekenntnisse und Religionen geachtet und geschätzt werden. Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit müssen die entschiedene Antwort des demokratischen Rechtsstaats finden, getragen von der Mehrheit einer friedlichen, freiheitlichen und offenen Gesellschaft. Jede und jeder Einzelne kann seinen Beitrag dazu leisten und sich für die Werte der Demokratie, der Menschlichkeit und der Freiheit einsetzen.